Ankereffekt (Anchoring Bias) – Definition & Beispiel

Autor: Maik Engelkamp

Der Ankereffekt (englisch: “Anchoring Bias”, auch Ankerheuristik) bezeichnet die Tendenz von Menschen, ihre Urteile auf irrelevante, aber leicht zugängliche Fakten zu stützen. Der Ankereffekt ist häufig im Alltag zu beobachten. So schätzen Menschen den Wert desselben Artikels im Durchschnitt höher ein, wenn er 50 Euro kostet, als wenn er zu einem Preis von 30 Euro ausgeschrieben ist.

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Was ist ein Ankereffekt? – Definition

Der Ankereffekt ist ein psychologisches Phänomen, bei dem sich Menschen bei Entscheidungen oder Einschätzungen zu stark auf einen Ausgangswert (den „Anker“) verlassen. Dies geschieht oft unbewusst, wenn eine Person mit einer Zahl oder Information konfrontiert wird, selbst wenn diese zufällig oder irrelevant ist, und sie dann ihre weiteren Überlegungen und Bewertungen auf diese Basis stützt.

Der Ankereffekt ist eine von vielen kognitiven Verzerrungen (cognitive biases) beim Denken, Wahrnehmen, Erinnern und Urteilen. Kognitive Verzerrungen sind systematische Denkfehler beim Urteilen. Sie werden häufig in der Börsenpsychologie, der Soziologie und der Verhaltensökonomie (Behavioral Finance) untersucht.

Ankerheuristik als Investor Bias

Das Phänomen des Ankereffekts ist an der Börse besonders stark ausgeprägt, so dass man hier auch von einem „Investor Bias“ spricht. So setzt z.B. der aktuelle Kurs einer Aktie den Maßstab für eine spätere Investition.

  • Eine Aktie wurde beispielsweise vor einigen Monaten zu einem Preis von 100 Euro gehandelt. Dieser Preis setzt sich als Ankerpreis in den Köpfen der Anleger fest. Wenn der Kurs der Aktie nun auf 80 Euro fällt, könnten viele Anleger dies im Vergleich zum Ankerpreis von 100 Euro als „günstig“ ansehen, ohne dabei zu berücksichtigen, dass die Fundamentaldaten der Firma sich vielleicht verschlechtert haben
  • Umgekehrt könnten Anleger bei einem Anstieg des Aktienkurses auf 120 Euro zögern zu kaufen oder sich sogar für einen Verkauf entscheiden, weil sie den Ankerpreis von 100 Euro als „normal“ oder „fair“ und den aktuellen Kurs als zu hoch empfinden, auch wenn die Unternehmensentwicklung tatsächlich eine höhere Bewertung rechtfertigt.

Ursachen des Ankereffekts

Die Ursachen des Ankereffekts sind nach wie vor umstritten, aber die neuesten Erkenntnisse deuten darauf hin, dass er je nach Quelle der verankernden Information unterschiedliche Ursachen hat.

Anker

Die ursprüngliche Erklärung der Ankerheuristik stammt von Amos Tversky und Daniel Kahneman, zwei der einflussreichsten Vertreter der Verhaltensökonomie. Sie stellten die Theorie auf, dass Menschen bei Schätzungen oder Prognosen von einem bestimmten Anfangswert oder Ausgangspunkt ausgehen und von dort aus Anpassungen vornehmen. Die Verzerrung durch den Ankereffekt entsteht, weil die Anpassungen in der Regel nicht groß genug sind und zu falschen Entscheidungen führen. Dies wird als Anpassungsheuristik (engl.: adjustment heuristic) bezeichnet.

Priming

Eine weitere Theorie basiert auf dem sogenannten Priming. Beim Priming wird die Verarbeitung eines nachfolgenden Reizes durch einen vorhergehenden Reiz beeinflusst, was unsere Wahrnehmung und unser Verhalten verändern kann.

Beim Anchoring handelt es sich um eine spezielle Form des Primings, bei der die erste Zahl, die einem in einer bestimmten Situation begegnet, als Referenzpunkt dient und nachfolgende Urteile beeinflusst. Wenn Anleger kürzlich positive Nachrichten über die Wirtschaft gehört haben (Priming), könnten sie eher geneigt sein, höhere Aktienkurse als gerechtfertigt anzusehen (Ankereffekt), wenn sie später mit einem bestimmten Aktienkurs als Anker konfrontiert werden.

Weitere Faktoren

Die Forschung hat darüber hinaus eine Reihe weiterer Faktoren identifiziert, die den Ankereffekt beeinflussen. Einer davon ist die Stimmung. Es hat sich gezeigt, dass Menschen in trauriger Stimmung anfälliger für den Ankereffekt sind als Menschen in fröhlicher Stimmung.

Bedeutung des Anchoring Bias

Anchoring kann ein wirksames Instrument bei Verkaufs-, Preis- und Lohnverhandlungen sein. Studien haben gezeigt, dass das Setzen eines Ankers zu Beginn einer Verhandlung einen größeren Einfluss auf das Endergebnis haben kann als der Verhandlungsprozess dazwischen. Ein absichtlich zu hoch angesetzter Startpunkt kann sich auf die Bandbreite aller nachfolgenden Gegenangebote auswirken.

Im Zusammenhang mit Investitionen ist eine Folge des „Ankerns“, dass Marktteilnehmer, die zum „Ankern“ neigen, dazu neigen, Vermögenswerte zu halten, die an Wert verloren haben, weil sie ihre Schätzung des beizulegenden Zeitwerts auf den ursprünglichen Preis und nicht auf die Fundamentaldaten gestützt haben. Infolgedessen gehen die Marktteilnehmer ein höheres Risiko ein, wenn sie den Vermögenswert in der Hoffnung halten, dass er zu seinem Einstandspreis zurückkehrt.

Wie funktioniert der Ankereffekt?

Einstellungsgespräche sind eine Möglichkeit, Anchoring im Alltag regelmäßig zu beobachten. Im Normalfall findet ein Einstellungsgespräch zwischen zwei Parteien statt: Unternehmen und Bewerber. In dieser Situation kommt es darauf an, welche Partei den ersten Gehaltsvorschlag unterbreitet.

  • Beginnt der Unternehmensvertreter mit einem Gehaltsvorschlag, wird er typischerweise ein Gehalt vorschlagen, welches unterhalb der verfügbaren Mittel liegt. Somit ist ein niedriger Anker gesetzt, was dazu führt, dass der Bewerber wahrscheinlich ein geringeres Gehalt akzeptiert.
  • Beginnt der Bewerber mit einem Gehaltsvorschlag, wird er typischerweise ein Gehalt nennen, welches oberhalb seiner tatsächlichen Gehaltsvorstellungen liegt. Das kann dazu führen, dass der Unternehmensvertreter dem Bewerber einen höheren Gegenvorschlag unterbreitet, als er es hätte, wenn er die Gehaltsverhandlung begonnen hätte.

In beiden Fällen dient der erste Vergütungsvorschlag als Anker für den Rest des Gesprächs. Die Parteien haben diesen Anker immer im Hinterkopf, wenn sie nachfolgende Vorschläge machen, und er wirkt sich in der Regel positiv oder negativ auf das Endergebnis aus.

Auswirkungen des Anchoring Bias auf Investoren

Anchoring Bias kann an jeder Stelle des finanziellen Entscheidungsprozesses auftreten, von den wichtigsten Bewertungsannahmen bis hin zu den Endergebnissen wie Unternehmenswerten und den daraus resultierenden Aktienkursen.

  • Historische Werte wie Akquisitionspreise oder Hochwassermarken sind übliche Anker. Dies gilt für Werte, die notwendig sind, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wie z. B. das Erreichen einer Zielrendite oder die Erzielung eines bestimmten Nettoerlöses. Diese Werte haben keinen Bezug zur Marktpreisbildung und veranlassen die Marktteilnehmer dazu, rationale Entscheidungen abzulehnen.
  • Eine Verankerung kann bei relativen Kennzahlen, beispielsweise bei. Bewertungsmultiplikatoren, wie dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), gegeben sein. Marktteilnehmer, die einen Bewertungsmultiplikator als Faustregel zur Bewertung von Wertpapierkursen verwenden, zeigen ein Ankereffekt, wenn sie Hinweise darauf ignorieren, dass Unternehmen unterschiedliche Qualitätsmerkmale aufweisen und unterschiedliche Potenziale für Gewinnwachstum haben.

Am Aktienmarkt ist der Ankereffekt in unterschiedlichen Zusammenhängen zu beobachten. Grundsätzlich führt die Ankerheuristik jedoch entweder zum Halten von qualitativ minderwertigen oder stark überbewerteten Aktien oder zum vorzeitigen Verkauf von qualitativ hochwertigen Aktien.

Beispiel für den Ankereffekt an der Börse

In der Börsenwelt kann die Ankerheuristik verschiedene Formen annehmen. So sind Anleger in der Regel auf den Preis fixiert, zu dem sie eine Aktie ursprünglich gekauft haben. Wenn ein Anleger die Aktie XYZ zu einem Preis von 50 Euro gekauft hat, ist er psychologisch bei diesem Preis „verankert“. Diese Verankerung führt dazu, dass der Anleger seine weiteren Entscheidungen auf der Grundlage dieses Preises trifft:

  • Fällt der Preis der Aktie, wird der Anleger die Aktie nicht verkaufen, solange das Einstandsniveau nicht wieder erreicht ist oder sogar nachkaufen, da die Aktie nun für ihn günstig wirkt.
  • Steigt der Preis der Aktie, wird der Investor die Aktie möglicherweise verkaufen, obwohl ein Verkauf zu diesem Zeitpunkt rational nicht gerechtfertigt sein könnte.

In beiden Fällen dient der Anker als irrationale Grundlage für Entscheidungen, welche eigentlich basierend auf rationalen Prozessen, wie beispielsweise qualitativer Aktienanalysen und Unternehmensbewertungen getroffen werden sollten.

Anchoring Bias beim Investieren vermeiden

Marktteilnehmer können dem Ankereffekt entgegenwirken, indem sie die Faktoren identifizieren, die hinter dem Ankereffekt stehen, und indem sie Vermutungen durch quantifizierbare Daten ersetzen. Umfassende Untersuchungen und Bewertungen der Faktoren, die die Märkte oder den Preis eines Wertpapiers beeinflussen, sind erforderlich, um Verzerrungen bei der Entscheidungsfindung im Anlageprozess zu vermeiden.

Systematisiertes Investieren

Um irrationalen Preisankern zu entgehen, ist es für Investoren hilfreich, ihre Entscheidungen auf Basis eines festen Regelwerks zu treffen. Dieses sollte eine umfassende Unternehmensanalyse, resultierend in einer Unternehmensbewertung, inkludieren. Durch die Kenntnis über das Investment an sich und vor allem dessen “fairen Wert”, können irrationale Anker umgangen werden.

Eine regelmäßige Überprüfung der getätigten Investitionen, z.B. nach Veröffentlichung der Jahresabschlüsse, kann darüber hinaus dazu beitragen, den ursprünglichen Preisanker kontinuierlich zu hinterfragen und zu aktualisieren. Durch ein festes Regelwerk zur Überprüfung der Investitionen kann einer irrationalen Entscheidungsfindung entgegengewirkt werden.

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